DE/ Ammergauer Alpen/ Geiselstein 1884m Ostwand
anspruchsvolle Routenkombination durch die komplette Ostwand
Das Jahr 2020 fing eigentlich ganz gut an. Während einer zweiwöchigen Kletterreise nach Marokko konnten wir einige tolle Mehrseillängen in der Todraschlucht klettern. Doch zurück in Deutschland machten uns die Coronamaßnahmen einen Strich durch die Rechnung. Da diese für mich nicht nachvollziehbaren Entscheidungen in meinem Kletterblog nichts verloren hat, gehe ich nicht weiter darauf ein. Jedenfalls kamen wir so oft zum Sportklettern wie seit Jahren nicht und ich setzte eine neue persönliche Bestmarke. Am 1. Juni war es dann endlich soweit: die erste richtige Mehrseillänge dieses Jahr. Rausgesucht haben wir uns gezwungenermaßen eine Wand in Bayern. Erstaunlich, wie viele Wände in Österreich und Italien ich schon besucht habe, aber nicht in den heimischen Bergen. Der Geiselstein hat sich für mich als ein Juwel herausgestellt, der mit den großen Tiroler Hotspots mithalten kann. Vorausgesetzt man hat den langen Zustieg mit MTB hinter sich gebracht. Der Berg lässt sich von allen Seiten beklettern. Am längsten und zugleich homogensten ist die Ostwand, wenn man über den Sockel einsteigt. Durch diesen schlängelt sich genau eine Route entlang einer Schwachstelle, nämlich die "Herr der Lage". Nur muss man -wie bereits im Führer beschrieben- absolut Herr der Lage sein, um diese Tour zu meistern.
Der Erstbegeher hat hier der Nachwelt ein gefährliches Testpiece hinterlassen. Die erste Seillänge entlang einer Rissschuppe hat zu Recht keinen einzigen Haken, kann man doch prima mit genügend Friends absichern, klassisches Alpinklettern eben. Doch die nächsten Seillängen durch den Plattenpanzer sind schlichtweg gefährlich abgesichert. Sl 3 (40m, 7) mit genau 3 alten Stichtbohrhaken und einem Schlaghaken, wobei die Haken bewusst unter einem No-hand-rest bzw. deutlich unter der Schlüsselstelle stecken, sodass man sich im Falle eines Sturzes verletzen kann. Sl 4 (45m, 7) mit genau zwei Stichtbohrhaken in weiten Abständen, wobei am zweiten Haken eine ungefähr 2 Meter lange Schlinge den drohenden Pendler etwas verbessern soll. Von diesem Haken folgt eine plattige Rechtsquerung ohne Absicherung auf ein entspanntes Band. Es folgt noch eine leichtere Länge mit wenigen Schlaghaken auf das große Pfarrer-Geiger-Band, wo die meisten Ostwandrouten beginnen.
In Anbetracht der wenigen, alten Haken (ein Mix aus BH, SBH und NH) in teilweise splittrigem, grasigen Fels ohne Möglichkeit mobil zu ergänzen, kann ich diese Route nur risikofreudigen Kletterern empfehlen, die deutlich über dem siebten Grad stehen. Ich konnte die Route zwar onsight klettern, wäre aber, hätte ich das vorher gewusst, nicht eingestiegen. Es wäre zumindest eine Nachsanierung der bestehenden Haken nötig. Ein Abbruch ist aufgrund der Quergänge nur mit erheblichem Pendeln und wahrscheinlich nur mit 60m Doppelseil möglich.
Heilfroh sind wir jedenfalls, als wir nach einer gefühlten Ewigkeit am Einstieg der "Zahn des Wissens" stehen. Diese ist deutlich besser abgesichert, allerdings nicht nach heutigem Sportkletteranspruch. Ich würde aufgrund der teilweise weiten Abstände im plattigen Gelände (ohne Möglichkeit mobil zu Ergänzen) mit teilweise älteren Haken E 3- bewerten. Die Kletterei ist traumhaft schön, der Fels deutlich besser als am Sockel und so kommen wir zügig durch die 7er Längen voran. Die vorletzte Länge (mit 8- bewertet) stellt die Schlüsselstelle dar, welche obligatorisch zu klettern ist. Der Haken ist hier nämlich genau an der schweren Stelle platziert und lässt sich nicht vorklippen. Die kleine Sanduhr mit dünner Prusik darunter lädt nicht gerade zum Stürzen ein...
Die letzte Länge startet mit einer wirklich schweren, kurzen Einzelstelle, meiner Meinung nach sehr hart für 8+. Es kann aber am ersten Haken genullert werden, der Rest der Seillänge ist Genuss pur. Am Zahn angekommen gibt es die Möglichkeit über die Ostwand abzuseilen oder weiter zum Gipfel zu klettern. Wir entschieden uns für zweiteres und steigen am laufenden Seil über den Grat rechterhand hinauf (mehrere Möglichkeiten, ca. 6 Seillängen). So kommt man an dieser Wand, welche die erste Erhebung nach dem Flachland ist, auf ganze 17 Seillängen, wow!
Oben angekommen befinden wir uns in einer Menschenmenge, gibt es doch etliche auch einfachere Routen durch die Nord- und Südwand. In leichter Kletterei absteigend steht man nach 45min wieder am Rucksackdepot und nach weiteren 45min an den Fahrrädern, mit denen es zügig zurück geht :)
Wie es so oft ist, wenn die Anspannung von einem abfällt, sind wir im Nachhinein stolz auf den ernsten Start in die Klettersaison, welchen wir mit "Herr der Lage" meistern konnten. Diese Route sollte nur auf keinen Fall unterschätzt werden, ich hoffe ich habe hiermit einen kleinen Eindruck vermittelt.
Facts "Herr der Lage": ca. 200m; 5 Sl.; E 4; 7; 7 oblg.; EB 1983! M. Lutz und W. Kirchmann; Cams #0,5 bis #4, große evtl. doppelt; Schlingen; 10 Exen; Doppelseile
Facts "Zahn des Wissens": ca. 200m; 6 Sl.; E 3-; 8+; 8- oblg.; EB 1986 M. Kirchbichler und K. Socher; Keile und Friends eigentlich nicht anzubringen; Exen
unterwegs am 01.Juni 2020 mit Andi Wunsch.
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Marcus Lutz (Samstag, 15 August 2020 13:02)
Servus Daniel,
Du bist nicht der Erste der sich „a weng fürchtete“ �.
Wenn‘s normal geht, dann saniere ich die Route heuer noch mit dem Miller Fritz, sicher nicht übertrieben, aber konsequent. Die Bohrhaken in der Schlüssellänge sind übrigens Mammut-Kronenbohrhaken, die halten noch heute, aber das glaubt keiner � und drum werden auch die ersetzt werden (müssen). Damals habe ich die Haken im Vorstieg in ca. 15 minütiger Bohrarbeit gesetzt, frei stehend ohne cliffs ... drum stecken sie auch eher an „Stehplätzen“.
Die E4 geht sicher in Ordnung, das habe ich heuer am Heiligkreuzkofel in der „Mephisto“ und an der „Jugendliebe“ wieder „auffrischen“ können �♂️.
Weiterhin viel Spaß im „Alpinen“ und ... „immer gut festhalten“ ��.
Marcus